Das Motto des diesjährigen Theaterherbstes „Irgendwie anders“ trifft auf jeden Fall auf die Dunkeltheaterwerkstatt zu.
Greiz. Es ist ein interessantes Experiment, zu dem mich Heiko Michels, einer der beiden Leiter der Theaterherbst-Dunkeltheaterwerkstatt, ohne größere Probleme überredet. In der fast stockdunklen Saalerweiterung der Vogtlandhalle – lediglich ein paar Lichter glimmen noch ein wenig, die aber auch noch verdunkelt werden sollen – tappe ich vorsichtig an der Wand entlang. Mit der Hand fühle ich nach den Klebestreifen, die verschiedene Punkte im Raum kennzeichnen und habe irgendwie die ganze Zeit Angst, dass ich über etwas stolpere, obwohl ich doch weiß, dass nichts im Weg steht. Schnell stelle ich dann aber doch fest, dass die fast vollkommene Dunkelheit nicht so beängstigend ist, wie ich im Vorfeld vermutet hatte. Vielmehr ist es faszinierend, wie sich in Ermangelung der Sicht vor allem das Gehör schärft, man Geräusche ganz anders wahrnimmt. Schnell verstehe ich auch, warum einige der sechs Werkstatt-Teilnehmer barfuß proben beziehungsweise spielen. Viel besser spürt man die Erhebungen im Boden, etwa durch Plastikabdeckungen, die dort eingelassen sind, und kann Entfernungen besser einschätzen.
Ich bin nicht alleine mit meinen Erfahrungen. Auch die Werkstattteilnehmer haben sie so ähnlich gemacht, wie sie im Gespräch bestätigen. Für sie alle ist es, wie auch für den Theaterherbst, eine Premiere. Es ist die erste Dunkeltheater-Werkstatt, die in der Theaterherbstgeschichte angeboten wird. Dennoch passt sie, wie auch die anderen Werkstätten, gut zum Motto des diesjährigen Festivals, „Irgendwie anders“. Premiere als Werkstattleiter des Dunkeltheaters feiert in diesem Jahr auch Heiko Michels vom internationalen Theaterlabel Limited Blindness. Der erste Theaterherbst des gebürtigen Kielers ist es jedoch nicht. „Ich habe ihn über die Jahre immer wieder, auch als Besucher, verfolgt“, erzählt er. „Ich finde es spannend, aus einer Region herauszuarbeiten, mit ihrer Geschichte und ihren Eigenheiten zu spielen.“
Auch Publikum ist intensiv beteiligt
Geschichte, die der Park- und Schlossstadt und die der Werkstattteilnehmer, soll auch im Mittelpunkt des Stücks „Der Faden ist gerissen“ stehen, das am 15. September Premiere feiern und erneut am 19. September aufgeführt wird. Eine Vorlage gibt es für das Stück nicht. Vielmehr wird sie zur Zeit täglich aus den Erzählungen der Teilnehmer, ihrer Biografien, aber auch aus der Historie der Stadt Greiz erarbeitet und jeden Tag von Michels in Textform gebracht. Ein interessantes Konglomerat ist so bisher entstanden. In ihm sind Sagen aus dem zwölften Jahrhundert mit biografischen Erlebnissen und Themen wie dem Untergang der Greika vereint. Alle passen sie zum Titel „Der Faden ist gerissen“, der bewusst doppeldeutig ist, persönliche Traumata genauso umfasst wie eben das Ende der Textilindustrie in Greiz. Fremdtexte und selbst geschriebene Dialoge treffen so aufeinander. Die Vielfalt der Szenen, Geschichten und Schauplätze wird durch das Dunkeltheater eher unterstützt, als behindert, wie Michels sagt. Denn anders als bei anderen Formen des Theaters entstehen die Bilder ausschließlich im Kopf, durch Stimmen, Geräusche und Musik. Kein Bühnenbild muss ausgetauscht, kein Kostüm gewechselt werden. „So wird aus der Vogtlandhalle lediglich durch Geräusche urplötzlich ein Wald, daraus eine Webwerkstatt und daraus wieder die Vogtlandhalle“, erklärt Michels. Und auch wenn die Schauspieler während des Stücks trotz Dunkelheit „wild gestikulieren“, wie der 38-Jährige versichert, so muss der Fokus natürlich auf den Worten liegen. Ein spezielles Training soll den Spielern dabei helfen. Doch auch die Zuschauer sind viel aktiver in das Stück eingebunden, können es nicht wie bei anderen Darstellungsformen „nur“ rezipieren. Schon allein, da die Schauspieler sich um das Publikum herum und zum Teil mittendrin bewegen, ist es viel aktiver involviert. „Es ist eine Chance, das Publikum aus dem Alltag herauszuholen, aus dem Faden heraustreten zu lassen. Es mag ungewohnt sein, aber es ist auch eine tolle Freiheit, aus der Welt herauszutreten“, so der in Berlin lebende Regisseur. Das gilt natürlich auch in gewisser Weise für die Schauspieler, wie zum Beispiel Sabine Petri bestätigt. „Übervorsichtig“ sei sie am ersten Tag der Proben gewesen, übersensibel und auch ein wenig ängstlich, weil alles ungewohnt gewesen sei, erzählt sie. Das habe sich aber schnell gegeben, innerhalb eines Tages habe man sich daran gewöhnt. Biografisches aus ihrem Leben mit einzubringen, habe sie nicht gestört. Als passionierte Theaterherbstteilnehmerin – Petri hat seit 2009 bereits an mehreren Werkstätten teilgenommen – sei das nichts Neues für sie. Ein Tipp hat Michels für alle, die das Stück besuchen wollen, noch: „Handys, leuchtende Uhren oder alles andere, was Licht erzeugt, sollte man am besten gleich zu Hause lassen.“
20.08.15 / OTZ
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